Zonengrenze 2022 - Von Oben nach Unten
Planung und Vorbereitung
Ein Leben ohne die mittlerweile lieb gewonnenen Unannehmlichkeiten der Pandemie können wir uns im dritten Sommer der Seuche kaum noch vorstellen. Obwohl Masken nur noch in öffentlichen Verkehrsmitteln und bei mir auch im Büro vorgeschrieben sind, gehen wir auch beim Einkaufen immer noch mit Mund- und Nasenbekleidung in den Supermarkt. Die Individualdistanz als geringste noch geduldete Entfernung zwischen Individuen einer Art ist bei uns nicht mehr dieselbe wie vor drei Jahren. Im Supermarkt wird es jetzt bereits unterhalb der 2-Meter-Schwelle auch bei nicht angetrunkenen Zeitgenossen kritisch. Eigentlich sollte diese auch als Intimdistanz bekannte Strecke laut Verhaltensforschung für einen Mitteleuropäer nur etwa einen halben Meter betragen. Radreisen kommen dem bei vielen Mitmenschen erhöhten Distanzbedürfnis auf jeden Fall sehr entgegen, solange man sich dabei nicht im eng gepackten Peloton der Tour de France befindet.
Überfüllte öffentliche Verkehrsmittel stehen aus dem zuvor genannten Grund auch so überhaupt gar nicht auf unserer Bedürfnisliste. Da so genannte 9-Euro-Ticket platzt damit im Sommer diesen Jahres genau in die Jahreszeit, in der wir verstärkt die Bahn nutzen, um mit dem Rad von A nach B oder wieder zurück zu kommen. Zumindest an Feiertagen und Wochenende kann man sich das gerade sparen. Ohnehin auf Anschlag gefüllte Züge haben natürlich keinen Platz für Radler. Bei jedem Zwischenhalt kann es passieren, dass einen der Zugbegleiter entgegen dem eigenen Wunsch wieder aus dem Zug begleitet.
Um diesem Dilemma aus dem Weg zu gehen, suchen wir für die sommerliche Radtour einen Start- oder Zielort, der über einen ICE-Bahnhof verfügt. Danach müssen wir allerdings auch noch das Glück haben, freie Stellplätze für die Räder zu ergattern. Da das kurzfristig selten klappt, sind wir diesmal schon Anfang Mai auf der Ausschau nach einer geeigneten Radtour.
Als wir letztes Jahr bei der Recherche nach einer möglichen Urlaubsroute bei der Transgermany hängengeblieben sind, ist uns ein weiterer Tourenklassiker aufgefallen. Bei der unter dem Namen Grenzsteintrophy firmierenden Strecke startet jedes Jahr zum ehemaligen Tag der Deutschen Einheit am 17. Juni eine aus mehreren Dutzend Teilnehmern bestehende Gruppe Freiwilliger, um die ehemalige innerdeutsche Grenze von einem Ende zum anderen abzufahren. Was sich sehr unspektakulär anhört, scheint jedoch in der Praxis keine gemütliche Kaffeefahrt zu sein.
Eigentlich müssten wir die Tour am Ostseestrand bei Travemünde oder in der Nähe von Hof am Dreiländereck beginnen. Dort liegen jeweils die Endpunkte der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Der Startpunkt bei Hof scheidet allerdings für uns aus, weil man das ehemalige „Zonenrandgebiet“ auch mehr als 30 Jahre nach der Wende nur mit dem Nahverkehrszug erreichen kann (siehe 9-Euro-Ticket).
Damit bleibt uns nur die Umkehrung der Fahrtrichtung. Um nicht am Ende der Tour wieder auf Nahverkehrszüge angewiesen zu sein, planen wir, aus eigener Kraft nach Hause zu fahren. Da wir uns keine Chance ausrechnen, innerhalb der gut zwei verfügbaren Urlaubswochen sowohl die Grenztour als auch noch die Heimfahrt zu schaffen, müssen wir den Startpunkt von Travemünde ein ganzes Stück nach Süden verschieben. Am Ende steht wegen der günstigen Bahnverbindung die Stadt Hannover als Sieger im Wettbewerb um den Startort fest.
Hannover liegt zwar alles andere als direkt auf der ehemaligen Grenze, aber immerhin relativ nah am Harz. Dieses Mittelgebirge mit dem aus dem Wetterbericht so gut bekannten Brocken (der norddeutsche Riesenhügel auf dem immer Sturm herrscht) möchten wir uns nicht entgehen lassen. Im Harz direkt am Brocken treffen wir dann auch auf die Strecke der Grenzsteintrophy. Soweit der Plan.
Auf Tour
Nach den positiven Erfahrungen mit der Transgermany haben wir uns mit dem Reiseland Deutschland soweit angefreundet, dass wir uns auf eine wirklich rein innerdeutsche Reise begeben haben. Vom 9. bis 26. Juni des vorläufig letzten Corona-Jahres sind wir von Hannover nach Hause gefahren.
Den Verlauf der Tour in der untenstehenden Karte haben wir mit Absicht nur sehr grob als gerade Verbindung zwischen markanten Punkten wie Orten, Brücken oder besonderen Wegmarken dargestellt. Ein Rückschluss auf die im Einzelnen von uns benutzten Wege ist nicht möglich.
Jeder, der entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenzer fahren möchte, sollte sich selbst den für ihn richtigen Weg suchen. Wege, die wir im Jahr 2022 benutzt haben, sind vielleicht mittlerweile nicht mehr vorhanden oder dürfen nicht mehr befahren werden. Wer sich keine Arbeit machen möchte, dem steht alternativ die Möglichkeit offen, sich auf der Website der Grenzsteintrophy für eine entsprechende Tour zu bewerben. 875.6 km, 21:37:43