Transalp 2014 - vom Regen in die Traufe der Ostalpen
Planung und Vorbereitung
Eigentlich stand im Nostradamus nichts über das Jahr 2014, das mich ernsthaft beunruhigen hätte müssen. Zwar war irgendwann zwischen Februar und spätestens Juni der Weltuntergang zu erwarten, für den darauf folgenden Sommer war aber nicht Besonderes mehr angesagt.
Nachdem sich der Juni mit bestem Badewetter verabschiedet hatte und unser Haus immer noch stand, konnte es eigentlich nur noch besser werden. In den nächsten Wochen kam es jedoch ganz anders und das nicht nur wegen des Wetters.
Erste Anzeichen nahenden Unheils waren eigentlich schon seit mehreren Monaten erkennbar, wurden jedoch von mir nicht richtig ernst genommen. Mit ihren immer wiederkehrenden Beschwerden hatte Elisabeth ja schon seit ein paar Jahren zu kämpfen. Seit diesem Jahr war es jedoch so schmerzhaft, dass selbst Radfahren zeitweise nur noch eingeschränkt möglich war. Ein Termin beim Orthopäden Anfang Juli brachte dann die Gewissheit. Ohne chirurgische Bastelarbeit war hier nichts mehr zu reparieren. Im September sollte es soweit sein. Große Belastungen waren bis dahin tabu. Mein langjähriger Reisepartner war mir damit zumindest für dieses Jahr abhanden gekommen.
Trotz des schönen Wetters im Mai und Juni hatten wir schon keine Bergtouren mehr mit dem Rad unternommen. Der einzige Gipfel der bisherigen Saison war der Hohe Peißenberg, der mit seinen 988 Metern noch nicht einmal in den richtigen Bergen liegt. Für mein Rennrad und mich war er dennoch eine ernste Herausforderung, die mit tagelangem Muskelkater quittiert wurde.
Erste und letzte Vorbereitungstour
Mitte Juli hatte der mittlerweile feuchte Teil des Sommers noch einmal eine kleine Pause eingelegt, die wir sowohl zum Baden als auch zum Radeln nutzen wollten. Während Elisabeth auf gemütlichem Radweg von Schwangau zum Plansee fahren wollte, hatte ich die schon reichlich oft absolvierte Abkürzung über die Bleckenau und den Jägersteig auf dem Plan. Beim aktuellen Trainingszustand war das aber auch absolut genug. Steil ist die Auffahrt in jedem Fall.
Als ich nassgeschwitzt in der Bleckenau angekommen bin, nutze ich die Pause nicht nur zum Leeren meiner Trinkblase, sondern auch zur Kontrolle des Fahrwerks. Mir kommt es schon die ganze Zeit so vor, als ob sich die Kurbeln nicht ganz rund drehen würden. Auf den ersten Blick ist nichts besonderes zu erkennen. Die Kurbel dreht sich einwandfrei in beide Richtungen. Auch die Kette schnurt leise vor sich hin.
Schon an der nächsten Steigung lege ich wieder eine Pause ein. Mit der Kurbel stimmt einfach etwas nicht.
Dieses Mal kann ich die Ursache des Problems identifizieren: die rechte Lagerschale hat sich aus völlig unerfindlichem Grund gelockert. Das Lager hatte ich mindestens schon ein Jahr lang nicht mehr ausgebaut und seitdem bestimmt schon zweitausend Kilometer zurückgelegt. Warum sich nach so langer Zeit die Schale löst, ist zumindest dem Laien nicht klar.
Ohne Lagerschalenschlüssel ist es eine echte Herausforderung, das hinter den kleinen Kettenblatt gut versteckte Teil zu bewegen. Mit Hilfe von Taschenmesser und Multitool gelingt es mir nach zähem Kampf und starkem Blutverlust, die Lagerschale halbwegs festzuziehen. Die Zähne des großen Kettenblatts hinterlassen dabei erstaunlich tiefe Wunden in der rechten Hand. Es läuft sofort besser. Allerdings nicht besonders lang. Dann ist die Lagerschale schon wieder locker. Bis zum höchsten Punkt des Wegs zücke ich noch zweimal den Werkzeugkasten. Mehr als fünf Minuten hält es einfach nicht.
Für den Rest des Tages ignoriere ich das Problem einfach und akzeptiere das leichte Eiern in der Kurbel.
Die Reparatur
Erst eine Woche später erinnere ich mich wieder an das Ungemach und gehe der Sache auf die Spur. Nachdem das Lager ausgebaut ist, ist die Ursache des Übels schnell gefunden. Das Gewinde auf der rechten Seite ist kaum noch zu erkennen. Die Lagerschale kann man ohne großen Kraftaufwand und sogar ohne sie zu drehen in den Rahmen stecken. Das ist wohl ein Fall für die Spezialisten von Rose.
Bevor ich das ganze Rad zum Service einschicke, rufe ich vorsichtshalber bei Rose an. Der Fachmann aus der Werkstatt lässt sich mein Problem ausführlich schildern. Auf meine abschließende Frage, was man da machen kann, antwortet er kurz und bündig: "Einen neuen Rahmen kaufen".
Es stellt sich allerdings heraus, dass ich dies nicht bei Rose machen könne, da sie gar keinen Rahmen hätten, der geeignet wäre, meine alten Anbauteile aufzunehmen. Die Gabel würde auf jeden fall schon einmal nicht passen.
Intensive Recherchen im Internet beginnen. Ich bin nicht alleine mit dem Problem eines zerstörten Gewindes. Trotzdem finde ich zuerst nur alle möglichen Bastlertipps mit Klebstoff, Presslagern oder Metallspachtel. Auf einer Schweizer Seite entdecke ich den ersten interessanten Hinweis. Es soll ein spezielles Reparaturlager geben, das auch mit einem nicht mehr vorhandenem Gewinde funktioniert.
Am Ende stellt sich heraus, das der betreffende Hersteller die Produktion dieses Lagers zwischenzeitlich eingestellt hat. Erst ein paar Tage später stoße ich auf eine Englische Seite, die ein entsprechendes Lager für umgerechnet etwa 40 Euro im Angebot hat.
Bei der weiteren Suche nach Erfahrungen mit diesem Ersatzteil finde ich nicht wirklich Konkretes. Stattdessen taucht noch eine weitere Idee auf. Es soll tatsächlich eine Werkstatt geben, die einen defekten Rahmen reparieren kann.
Tags darauf rufe ich dort an. Die Beratung wirkt sehr kompetent. Rahmen von Rose wären meist gut zu reparieren, da genügend Materialstärke vorhanden sei. Für pauschal 120 Euro plus Versand würde die Sache innerhalb von gut zwei Wochen erledigt. In gut 95 % aller Fälle würde die Reparatur zum Erfolg führen. Dies bedeutet, dass das neue Gewinde genauso gut hält wie das erste. Es würde jedoch immer wieder einmal vorkommen, dass die Verklebung des neuen Gewindes nicht stabil sei.
Zwei Tage später ist mein von allen Anbauteilen befreiter Rahmen auf dem Weg nach Hannover. Es dauert eine ganze Woche bis ich endlich eine Nachricht per Mail bekomme. Der Rahmen kann repariert werden. Ich müsste nur noch vorab die Reparaturkosten überweisen.
Einerseits bin ich froh, dass es klappt, andererseits werde ich jetzt auch etwas nervös. Am 28. August brauche ich schließlich ein voll funktionsfähiges Rad. An diesem Tag fährt am frühen Vormittag der Eurocity von München nach Kärnten für den ich einen Stell- und einen Sitzplatzfür mich und mein Rad reserviert habe. Bis dahin sind es jetzt noch zweieinhalb Wochen. Wenn mein reparierter Rahmen zurückkommt, muss ich auch noch die große Kiste auflösen, in der sich derzeit Gabel, Lenker, Sattel, Schaltung, Bremsen und sehr viele und unsortierte Kleinteile befinden.
Ein neues Rad
Bis zum nächsten Tag ist meine Nervosität bereits so stark angewachsen, dass ich mir erste Gedanken über eine Alternative mache. Ich möchte schließlich nicht, dass meine 29 Euro teure Bahnkarte einfach verfällt. Bereits am nächsten Tag telefoniere ich schon wieder mit der Firma Rose. Dieses Mal nicht mit dem Service sondern dem Verkauf. Ich möchte eigentlich nur zwei Auskünfte erhalten: ist das All-Mountain-Modell in meiner Größe sofort lieferbar und kann man auch einen Flaschenhalter montieren.
Normalerweise käme ich gar nicht auf die Idee, mir Gedanken über einen Flaschenhalter zu machen. An ein Tourenrad muss einfach immer eine Flasche. Bei einem Enduro-Rad oder noch schwererem Gerät würde es mich nicht wundern, wenn vor lauter Federweg kein Platz dafür ist. In diesem Fall frage ich jedoch vorsichtshalber, da auch in der 360-Grad-Computeransicht keine Schrauben oder Schraubenlöcher erkennbar waren, die für einen Flaschenhalter geeignet wären.
Die Lieferung des Rades innerhalb von zwei Wochen wäre kein Problem, der Flaschenhalter aber schon. Es gäbe keine dafür vorgesehene Möglichkeit. Ich bedanke mich für die Auskunft. Das erste Mal seit vielen Jahren scheidet Rose damit bei einem Neuradwunsch als Lieferant aus.
Zwei Tage später ist ein neues Rad geordert. An das Radon Slide kann man einen Flaschenhalter montieren. Sonderwünsche wie bei Rose werden zwar bei der Bestellung nicht angenommen, aber auch so ist das Auslaufmodell mit der archaischen Laufradgröße von 26 Zoll recht gut bestückt. Nur die schmalbrüstigen Reifen sind für mein Gewicht und mein Fahrkönnen nicht die richtige Wahl. Ich brauche einfach möglichst dicke und fehlerverzeihende Gummiüberzüge und trete dafür auch gerne etwas kräftiger in die Pedale.
Die Streckenplanung war wieder einmal ziemlich einfach. In erster Linie hatte ich sie darauf ausgerichtet, mit möglichst geringem technischen und finanziellen Aufwand an irgendeinen Startort zu kommen und auch für die Rückfahrt nicht viel investieren zu müssen. Schon einige Wochen vor dem Start hatte ich schließlich eine Fahrkarte von Augsburg nach Klagenfurt in Kärnten einschließlich der erforderlichen Reservierung fü das Rad in der Tasche. Über den Preis brauchte man sich wirklich nicht beschweren. Ohne Sonderpreis wären die Preisvorstellungen der Deutschen Bahn allerdings schon etwas ambitioniert gewesen.
Von Kärnten aus wollte ich irgendwie Richtung Gardasee und von dort nach Norden Richtung Heimat rollen. Passende Karten waren auf dem GPS und auf dem Handy. So gut zwei Wochen hatte ich auf jeden Fall zur freien Verfügung.
Die Entscheidung für den Kauf eines neuen Rades war auf jeden Fall richtig. Während das neue Radon schon eine knappe Woche vor dem Start einsatzbereit war, kommt der reparierte Rahmen am Tag vor meiner Abreise an. Nur mit einer Nachtschicht wäre es zu schaffen, das alte Rad noch rechtzeitig fahrfertig zu machen.
Wie immer sind die letzten Tage vor dem Urlaub furchtbar stressig. Im Büro ist wieder einmal Land unter, so dass das tägliche Arbeitsende jeweils deutlich hinter der Regelarbeitszeit liegt. Das neue Rad darf deshalb nur ein einziges Mal auf einer flachen Flussrunde entlang der Wertach zeigen, dass alles funktioniert.